Am Wegesrand. Eine Auslese fallengelassener Worte

Fotoreihe. Ausstellung von Judith Schäfer | Ab 16.02.22

Ich habe Worte aufgelesen, die Gehende fallengelassen haben, manche achtlos, andere absichtlich.

Wir kennen sie alle, unsere städtischen Straßen sind voll von ihnen: Worte, die auf den Gehwegen liegen. Als abgerissene Blätter, Buchseiten oder Einkaufszettel, meist halb zerknüllt oder zerrissen, manchmal vom Regen durchweicht oder von schmutzigen Fußabdrücken beinahe unleserlich geworden.

Mal sind es Worte, die verloren gingen, obwohl sie vielleicht noch gebraucht wurden, von denen etwas abhing oder die etwas hätten verändern können. Häufig sind es solche, die jemand schon hundertmal geschrieben, hundertmal gelesen hat, und die der Person nichts bedeuteten, so dass sie keinen Verlust spürte, als sie sie nicht mehr in Händen oder Jackentasche hielt.

Die Ausstellung »Am Wegesrand« schenkt einigen solcher fallengelassenen Worte ihre volle Aufmerksamkeit. Gezeigt werden Aufnahmen aus den Jahren 2019 bis 2022.

Die gesammelten Zettel zeichnen Mini-Szenen aus fremden Leben und kleine Studien über ihre Verfasser: Die in der Schrift aufgehobene Bewegung einer Hand, die Energie, mit der ein Kuli über die Unterlage geführt wurde, die Wahl des Papiers und der Farbe des Stiftes, aber auch die Geste, mit der das Papier zerknüllt, zerrissen oder mit der es glatt und sauber gehalten wurde, bevor es seinen Weg auf den Boden fand – all das erzählt uns gewissermaßen ›in Schnipseln‹ Dinge über die Person, die hier geschrieben hat, und die wir im Vorübergehen mehr oder weniger wahrnehmen.

Judith Schäfer hat immer, wenn sie solchen fallengelassenen Worten begegnet ist und ihr Smartphone dabeihatte, ein Foto gemacht – ohne jemals das Papier zu berühren oder etwas zu verändern. Die Fotografierende weiß also genauso viel oder wenig wie wir, die wir die Aufnahmen betrachten. So lassen auch wir die Worte unberührt, die ja nie an uns gerichtet waren, die aber jemand auf unseren Weg hat fallenlassen.

»Am Wegesrand« zeigt 8 Motive aus einer Serie, die seit Herbst 2019 fortlaufend entsteht.

Judith Schäfer ist Teil der künstlerischen Arbeitsgemeinschaft Dunkelkammer – Raum für Entwicklung und Co-Initiatorin und -Leiterin des Schaubüdchens.

www.judith-schaefer.net